New Marketing Tech Summit: Der Komplexität den Schrecken nehmen

Jens von Rauchhaupt, 11. November 2018

Zur zweiten Auflage des New Marketing Tech Summits (NMTS) kamen am 7. November knapp 250 Teilnehmer im Hamburger Mojo Club zusammen, um sich über die neuesten Entwicklungen in den Bereichen Customer Experience, Datenstrategien, Attribution, automatisierten Mediaeinkauf, Content-Marketing-Plattformen, Dynamic Creative Optimization oder auch Chatbots und künstliche Intelligenz zu informieren und auszutauschen. Das Themenspektrum war von vorne herein breit angelegt. Denn MarTech ist zunächst ein Oberbegriff von verschiedenen Lösungen, die für ganz unterschiedliche Aufgaben entwickelt wurden. Eine eierlegende Marketing-Wollmilchsau gibt es nicht und ist auch nicht in Sicht. Stattdessen wird es darum gehen, die neuen Systeme und Plattformen intelligent miteinander zu verknüpfen, um der gestiegenen Komplexität gerecht zu werden.

MarTech – vom Namen her ein dickes Brett

Zum Aufgalopp präsentierte Christian Thunig, Managing Partner von INNOFACT, die Ergebnisse der ADZINE/INNOFACT-Studie, in der die Marktforscher von INNOFACT Marketingverantwortliche in ganz Deutschland zum Thema MarTech befragt haben. (Die Kernergebnisse sind auch hier auf ADZINE.de nachzulesen.) Thunig zeigte sich selbst verwundert, wie wenig die befragten Marketers mit dem Begriff MarTech schon etwas anfangen konnten, gleichzeitig aber bereits eine Vielzahl von Technologien für zahlreiche Aufgaben einsetzen. MarTech muss sich in Deutschland als übergreifende Disziplin noch festigen. Noch fehle es an genügend Budget und Know-how.

Technologie allein löst noch keine Probleme des Kunden

Es ist auch eine Frage der Unternehmenskultur. Und die neuen Technologien allein lösen zudem nicht alle Probleme. Das wurde den Zuhörern beim Vortrag von Andreas Helios, Leiter Marketing SAP Customer Experience Europa, schnell klar. Anhand eines anschaulichen Beispiels zeigte er auf, dass es zwar die nötigen Technologien für eine gute Customer Experience schon gibt, die wahre Herausforderung aber darin läge, dass Mitarbeiter diese auch annehmen und richtig einsetzen. Experiences sind Erlebnisse und die sind nun einmal persönlich. Im Konfliktfall kommt der „moment of truth“, wo sich eine Marke gegenüber dem Kunden bewähren muss. Automatisierte Telefonhotlines und umständliche Abwicklungsmodalitäten müssen vermieden werden. Eine gute Customer Experience beginnt immer erst nach dem Kauf. Es ginge darum, dass die Prozesse dahinter gut funktionieren. Hier sei der Einsatz von Data Intelligence natürlich wichtig, allerdings kein Allheilmittel. „Die Customer Experience ist das wahre Schlachtfeld im Marketing. Die Technologie allein löst das Problem nicht, wenn man einfach nur die menschliche Interaktion mit Maschinen ersetzt“, sagte Helios in Hamburg. Helios warnte daher davor, den Faktor Mensch zu unterschätzen. Bei einer schlechten Experience würde die Markenwahrnehmung erheblich leiden.

Personalisierung: Nicht zu viel pushen

Sean O Connor, EMEA Marketingchef von Bing Ads, hob in der ersten Paneldiskussion die Relevanz einer Werbebotschaft hervor, die erst durch eine personalisierte Ansprache ermöglicht werde. Aber hier beginnt das Problem, denn entweder fehlt es bei den Unternehmen an passenden Content oder die Personalisierung verursacht einen unangenehmen Nebeneffekt, den Helios als „Creepiness Faktor“ umschreibt, was wiederum „ein Paradoxon für die Branche ist“, wie O Connor meint. Lisa Gradow, Mitbegründerin von der Consent-Management-Plattform Usercentris, pochte daher auf die Einwilligung, den Consent, der nötig ist, damit die Nutzer sich mit personalisierten Botschaften auch gut fühlen können. Für Gradow läuft hier bei den Unternehmen noch einiges falsch, was eine kürzliche Untersuchung unter den top 30 DAX-Unternehmen auch bestätigte. Helios rät Unternehmen dazu, bei der Personalisierung langsam anzufangen. Im Bereich der Technologien wäre hier schon fast alles möglich, was übrigens später Thomas Park, Product Director der Werbeplattform Adform, in seiner Präsentation auch deutlich aufzeigte.

Unternehmen wären aber gut beraten, nicht zu viel zu pushen, das wäre kontraproduktiv. Schließlich befände man sich noch in den „Early Days“ der Personalisierung. Gerade beim Tracking liefe hier vieles falsch. Warum fragt man den User eigentlich beim Setzen des Cookies nicht danach, ob er personalisierte Werbung sehen möchte, anstatt nur eine Zustimmung für einen Tracking-Cookie einzuholen, fragte Gradow und erntete damit bei den Zuhörern im Mojo Club Beifall.

Content-Marketing hat einen Tech-Faktor

Content-Marketing gewinnt als Marketingdisziplin zunehmend an Bedeutung und auch hierbei spielen neue Technologien und Plattformen eine immer wichtigere Rolle. Das belegt die schier unübersichtliche Zahl an Plattformanbietern, die sich inzwischen am Markt tummeln. Mirko Lange, Gründer und Geschäftsführer der Content-Marketing-Plattform Scompler, gab daher der Audience einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Content-Marketing-Plattformen und kategorisierte sie nach den unterschiedlichen Anwendungsszenarien. Spannend und lehrreich zugleich.

OTTO zeigt, wie es geht

Wenn es um Online-Marketing und Online-Werbung geht, zählt Deutschlands heimischer E-Commerce Primus OTTO zu den Vorreitern. Diesem Ruf wurde das Unternehmen durch den Vortrag von Kerstin Pape, Leiterin Online-Marketing, vollends gerecht. Sie schilderte auf dem New Marketing Tech Summit, wie OTTO derzeit das Online-Marketing automatisiert. Dabei habe man einen Mix aus Eigenentwicklungen und Plattformanbietern gefunden. Viele Gebiete, beispielsweise das Retargeting, SEA oder auch das Kampagnen-Management, werden inzwischen intern abgewickelt. Beim RTB vertraut OTTO ebenfalls auf einen selbst entwickelten Biet-Algorithmus, den man dann mit dem von Google koppeln würde. Die daraus resultierenden Effizienzvorteile würden irgendwo zwischen 20 und 30 Prozent liegen. Probleme habe man mit der Freigabe nötiger Budgets gehabt und Pape brauchte viel Überzeugungskraft und Zeit für die Umsetzung. „Sechs Monate reichen da nicht.“ Eine andere Hürde sind die richtigen Mitarbeiter. Fachlich gut ausgebildete Kräfte seien schwer zu bekommen. „Wir brauchen wieder mehr Allrounder, Plattformexperten und Menschen mit einer latenten Neigung, Dinge einfach selbst anzupacken“, sagte Pape.

Emotionen als Hirnklebstoff für das Marketing

Einen sehr außergewöhnlichen Vortrag lieferte Online-Marketing-Berater Karl Kratz ab. Er ließ auf der Bühne die Hirnaktivitäten eines Probanden messen, während er ihm einen Kartentrick zeigte. Damit hinterließ Kratz nicht nur staunende Gesichter im Saal, sondern auch ein Hirnfeuerwerk beim Probanden, eine Stimulation. Und genau darum sollte es gehen: Resonanz. Und zwar offensichtlich auch bei den Zuhörern im Mojo Club. Für Kratz sei eine Marke ein mentales Konstrukt, das mit Vertrauen und Mögen zunächst nichts zu tun habe. Wer etwas verkaufen möchte, beispielsweise über einen Online-Shop, der müsse beim Nutzer Interesse wecken und dieses Interesse mit Sehnsüchten verbinden, die dann vom User sensorisch wahrnehmbar sind. Derjenige, der es schafft, ein (scheinbar) einzigartiges Produkt so anzubieten, das die Emotionen des Users geweckt werden, kann mit der höchsten Resonanz und somit mit dem Abverkauf rechnen.

Deep Learning steht in den Startlöchern

Weniger emotional ging es bei zwei Vorträgen zu, die sich dem Themenblock Datenstrategien und Datennutzung widmeten. Lucas Brinkmann, Director Marketing Platforms DACH bei Google, veranschaulichte, wie sich inzwischen die Mediaplanung in den letzten Jahrzehnten – weg vom Umfeld, hin zur datengetriebenen Planung – verändert hat. Das Problem sind dabei die riesigen Mengen an Datensätze, die in Wirklichkeit kaum von den Werbetreibenden genutzt werden. Laut einer Analyse der Harvard Business Review würden nur 1% aller möglichen Marketingdaten strukturiert – und damit verwendbar – vorliegen, wovon wiederum 59% nicht genutzt werden würden. Um diese Datenmengen zu verarbeiten und besser nutzbar zu machen, setzt Google inzwischen auf Deep Learning, sozusagen der nächste Schritt in der KI-Entwicklung. Deep Learning ist nur dank der heutigen Rechenpower möglich. Im Unterschied zur Vorstufe, dem Machine Learning, lernen die Algorithmen durch Simulation von sich selbst und verbessern sich stetig, ohne dass ein Mensch eingreifen muss – so in der Theorie. Erst mit Deep-Learning-Algorithmen würden die unfassbar großen Datenmengen auch verwertbar werden.

Viele Datenquellen – eine Strategie

Inventardaten, Zielgruppendaten, Messdaten, Kampagnendaten, Preise, allein in der Online-Werbung gibt es zahlreiche Datenquellen, die beherrscht und sinnvoll verwendet werden wollen. Das war das Thema von Jürgen Galler von 1plusX, eine Data-Management-Plattform, die unter anderem bei Axel Springer im Einsatz ist. Galler erläuterte der Zuhörerschaft die wichtigsten Steps im Aufbau einer Datenstrategie im Werbeökosystem, also das konkrete Vorgehen unter Nennung der Ressourcen. Er brachte konkrete Beispiele, wie ein Medienhaus und ein E-Commerce-Angebot mithilfe von 1plusX eine eigene Datenstrategie entwickeln konnten. Dabei waren neben Sammeln, Kaufen und Berechnen auch das Kreieren und Aktivieren von neuen Daten Bestandteil der Aufgabe. „Es ist so viel mehr möglich, als die meisten glauben“, sagte Galler.

KI als Mediamat

Inwieweit künstliche Intelligenz den Mediaeinkauf vollständig automatisieren könne, war Gegenstand einer Paneldiskussion, die von der Q-division Geschäftsführerin Melanie Hughes geleitet wurde. Eigentlich waren sich dabei die teilnehmenden Diskutanten, Dennis Heidmann (ebiquity), Thomas Servatius (SpotX), Peter Falcone (flashtalking) und Sven Bagemihl (Neustar) einig, dass der Mediaeinkauf mittelfristig vollständig automatisiert abgewickelt wird. Nur im Detail war man unterschiedlicher Auffassung.

„Schon in gut 5 Jahren könnte es so weit sein und dann übernimmt eine KI den Mediaeinkauf“, so Bagemihl. Allerdings bräuchte es noch ein „Brain“, dass die ganzen Werbekanäle auch wirklich sinnvoll budgetär orchestriert. Dennis Heidmann gab zu bedenken, dass „eine Maschine nur so gut arbeitet wie die Qualität der Daten, mit der sie gefüttert wird. Was jeder Werbetreibende braucht, ist eine robuste Datenstrategie.“ Am Ende kommt es also doch noch auf den Menschen an.

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